Vampire: Verlockend, vernichtend, verloren
 
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Vampire: Verlockend, vernichtend, verloren

Artikel von Karin Reddemann

 

Der Vampir ist furchtlos in der Nacht, verborgen am Tag, verloren in der Ewigkeit. Stark, schön, grausam. Ein Träumer. Ein Alptraum. Ein Kind mit goldenen Puppenlocken. Ein stattlicher, schweigender Mann. Der bleiche Beau, der nebenan wohnt. Die Frau mit Haar wie Ebenholz, Haut wie Elfenbein. Der Krieger der Finsternis. Der Schatten am Fenster. Die Ausgeburt der Hölle. Faszination. Erotik. Wildheit. Versuchung. Der Sonderbare. Schreckliche. Herzlose mit Tränen in den Augen. Er weint um die Schönheit der Nacht und der Morgenröte. Der Vampir sagt:

 

»Zeit, das ist ein Abgrund. Tausend Nächte tief. Jahrhunderte kommen und gehen. Nicht altern können ist furchtbar. Der Tod ist nicht alles, es gibt viel Schlimmeres. Können Sie sich vorstellen, dass man Jahrhunderte überdauert und jeden Tag dieselben Nichtigkeiten miterlebt?«

Filmzitat: Nosferatu, 1979

Die ewige Gier

Sein Los, Glück, Qual und Fluch, ist die ewige Gier. Menschliches Blut benötigt er als Lebenselixier, ohne diese Nahrung, die einzige, die ihn sättigt und befriedigt, trocknet er aus, vergreist, vergeht, verwelkt als die sondersame fressende Blume, die er war. So poetisch das anmutet, solch ein Ende vermeidet er, sei denn, er ist depressiv, müde und ernüchtert von seinem tausendjährigen Vampirsein. Auch das geschieht.

 

Um zu trinken, schlägt er seine spitzen, langen Eckzähne zumeist in den Hals, trifft zielsicher die Schlagader und saugt sein Opfer aus. Manchmal sucht er Gesellschaft, vorzugsweise weibliche aus der Oberliga der Schönen, wohl auch hübsche Männer, da er in erster Linie Ästhet mit sexueller Toleranz ist. Das kann man so stehen lassen, es gibt natürlich andere, die dürfen gedacht sein. Wenn er Begleitung wünscht, tötet er seine Nahrung nicht, sondern lässt genug Blut im Körper übrig, das mit seinem eigenen Blut vermischt einen neuen Vampir erschafft.

 

Vor Urzeiten dachte man, dass ein Vampiropfer nur dann zum Vampir wird, wenn eine Katze über den Leichnam oder das noch offene Grab schleicht oder springt, aber das erwies sich als absurde Idee. Eine Katze bestimmt das nicht, das macht allein der Vampir. Seine Augen sollen hypnotisierend, magisch anziehend, schaurig böse und sondersam wundervoll sein.

 

»Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut.«

Goethe

Der eine entscheidende Blick

Diesen gewissen Blick kennen wir von der Leinwand. Bela Lugosi, oberster Blutsauger der ersten Stunde 1931, (Dracula, Regie: Tod Browning), hatte ihn, Christopher Lee, groß und auf eigene Art attraktiv (1958, Dracula, Regie: Terence Fisher) perfektionierte ihn, war auch desweiteren der imposantere Unheimliche: Sieben Mal, bis 1973, entstieg er für die Hammer Productions seinem Sarg und lehrte die Menschen das Fürchten … die Männer zudem Vampirkunde, die Frauen Leidenschaft.

 

So gefällt uns ein Vampir. Dieser Schleier von Romantik, Wehmut, Einsamkeit, gefühlter Lyrik muss ihn umgeben, dann ist uns egal, wie brutal, kalt und unerbittlich er eigentlich ist. Selbst Nosferatu, 1922 schaurig-düster in der Symphonie des Grauens präsentiert von Friedrich Murnau, über sechs Jahrzehnte später gehuldigt von Werner Herzog mit einem genial authentischen Klaus Kinski, ist in seiner erschreckenden Hässlichkeit von einer uralten Schönheit gezeichnet, die schwer zu erklären ist, ohne das Bild zu haben. Und ohne diese bestimmte Vorstellung zu besitzen, sich unbeirrt hineinfinden zu können.

 

Der Vampir hat jene verlangende Macht, jene ersehnte Ewigkeit. Damit verbunden die Grenzenlosigkeit. Sie ist ihm geschenkt worden ohne Bitte, ohne Mitgefühl, ohne Erklärung. Sie ist keine Garantie, sie kann ihm genommen werden. Denn unverwundbar, möglicherweise gar unsterblich ist er nur bedingt. Man kann ihn schwächen und versuchen, ihn zu töten. Macht man das richtig, ist er vernichtet. Der Holzpflock, der mit Hammerschlägen ins Herz getrieben wird, während der Vampir relativ hilflos, zudem unangenehm überrascht in seinem Sarg liegt oder sich vom Kampf lädiert in anderweitig vorteilhafter Position für die geplante Exekution befindet, gilt als populärstes Utensil. Allerdings gibt es Skeptiker, die sich auf alte Quellen berufen und es dabei, dass Gott sie bewahre, nicht belassen.

Zur Sicherheit Kopf ab

In Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs von Johann Christoph Harenberg (1733) heißt es beschwörend, der Vampir befände sich, zumindest vorerst, mit dem Pfahl in der Brust in einer Art Totenstarre. Und wenn man denn den Pfahl, warum auch immer, einfach wieder herauszöge … oder ein Helfer, Vertrauter des Vampirs würde das heimlich machen in durchaus nachvollziehbarem Interesse, dann würde alles Übel von vorn losgehen. Besser ergo: Anschließend noch den Kopf abschlagen, – Harenberg empfiehlt als Werkzeug dafür den Spaten eines Totengräbers, letztendlich dürfte es wohl auch eine banale Axt aus dem Baumarkt sein –, und zu guter Letzt komplett verbrennen.

 

Für die unverhoffte Begegnung mit einem Vampir sollte man wissen: Der Vampir scheut Feuer und fließende Gewässer, Kruzifixe und Knoblauch halten ihn auf Distanz, Weihwasser bereitet ihm Schmerzen. Bei Knoblauch könnte man anmerken, dass Harenberg diesbezüglich von enttäuschenden Experimenten mit Blutegeln berichtet, die sich vom Geruch nicht hätten abschrecken lassen. Wir sehen das freilich nicht als Gegenbeweis, Roman Polanski (Tanz der Vampire, 1967) & Co. wussten es ebenfalls besser.

Boshaftes Nachtgeschöpf

Wer sich auf eine Diskussion mit vermutlich unweigerlich folgendem Handgemenge mit einem Vampir einlässt, sollte keine unsportliche Memme mit naivem Gedankengut sein: Der Gegner ist meist sehr gescheit, da er Altersweisheit und Erfahrung auf jeglichem sozialen und intellektuellen Gebiet vorzuweisen hat, verfügt über immense Körperkraft, ist flink und als Nachtgeschöpf selbstredend boshaft und verschlagen, kann Wände hochgehen und macht zudem gehörig Angst. Wird er verletzt, muss er sich nicht unnötig lange auskurieren, seine Wunden heilen blitzschnell.

 

Das klingt ansatzweise nach unvermeidbarer Unsterblichkeit. Die ist im Regelfall aber keinem gegeben, es trifft sie (fast) alle irgendwann. Vampire sterben ihren gewaltsamen Tod erfahrungsgemäß nach nur wenigen Tagen, – das liegt an Ungeschick und Pech –, oder ein paar Jahrhunderten. Aber sie ist eben durchaus möglich. Und sie macht ihn stark. Er altert nicht oder so langsam, dass ein Menschenleben nicht ausreicht, um ihn geringfügig verändert wahrzunehmen. Mag sein, seine Haut wird noch blasser, noch durchsichtiger, während er Generationen leben und sterben sieht. Er hat kein Spiegelbild. Keinen Herzschlag. Irgendwann einmal war er ein Mensch. Er erinnert sich:

 

»An diesem letzten Morgen war ich noch kein Vampir. Ich erblickte die ganze Herrlichkeit der Morgenröte, als wäre es das erste Mal. (...) Dann sagte ich dem Sonnenlicht Lebewohl und machte mich daran, das zu werden, was ich geworden bin.«

Louis, Interview mit einem Vampir, 1994

Nie wieder Sonnenaufgang

So kompromisslos, so endgültig ist dieser Abschied vom Tage. Der moderne Vampir mit Faible für zeitlos große Edelfilme sieht sich im Kino Gone with the Wind an und flennt, wenn der Himmel rot wird. Bitter. So etwas in natura erblickt er nie wieder. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang muss der Vampir sich unwiderrufbar an sicheren Plätzen verstecken, tunlichst darauf bedacht, von keinem Lichtstrahl getroffen zu werden. Das Licht schmerzt, verletzt, tötet ihn. Der Sonne gänzlich schutzlos ausgeliefert geht er vollständig in Flammen auf. Oder er zerfällt zu Staub. Und in der Asche liegt nur noch sein Siegelring mit dem Familienwappen. Das ist dann schon fast tragisch. Denn so einen Vampir kann man durchaus ins Herz schließen. Fröstelnd, zitternd, ängstlich vielleicht, aber grundsätzlich ehrlich. Wer sonst sagt so etwas zu einer Frau? Und diejenige, der das phantastische Bekenntnis gilt … schmilzt sie nicht dahin?

 

»Ich habe Ozeane der Zeit überquert, um dich zu finden. (…) Der glücklichste Mann, der auf Erden wandelt, ist jener, der seine wahre Liebe findet.«

Film: Bram Stoker’s Dracula

 

Selbst wenn er verklärt davon erzählt, wie er eine junge Unschuld gebissen, ausgesaugt und definitiv umgebracht hat, klingt das romantisch. Profane Killer kommentieren ihre Morde anders. Deutlich platter. Nie und niemals so:

 

»Ihr Blut strömte durch meine Adern, süßer als das Leben selbst. Und auf einmal ergaben Lestards Worte Sinn für mich. Ich konnte nur dann Frieden erfahren, wenn ich tötete. Und als ich ihr Herz in diesem schrecklichen Rhythmus schlagen hörte, da wusste ich wieder, was Frieden bedeutet.«

Louis in: »Interview mit einem Vampir«

 

Schön ist das. So spricht die Bestie mit Engelsgesicht. Ihre Unbarmherzigkeit ist uns egal, wir hören ihr zu. Wir sehen die Wundervollen von Anne Rice im Film, haben sie uns vorgestellt und sind zufrieden mit ihnen. Sie sprechen wie Poeten. Wir bewundern die Eleganz, mit der sie vernichten. Der Vampir berauscht. Und gleichsam lesen wir mit Schauder, wer er ist:

 

»Aber bald wandelten sich meine Empfindungen zu Abscheu und Entsetzen, als ich sah, wie der ganze Mann langsam aus dem Fenster herausstieg und an der Schlossmauer hinabkletterte, und zwar mit dem Kopf nach unten über dem schrecklichen Abgrund hängend, wobei sich sein Mantel wie ein großes Flügelpaar um ihn bauschte …«

Buch Dracula, 1879, Bram Stoker

Jure, der erste Vampir

Der im slawischen Sprachraum wurzelnde Suffix pir steht tatsächlich für »geflügeltes Wesen«, das zu Stokers solider Recherche, und die Bezeichnung »Vampir« , – in der Ukraine: Upyr, Weissrussland: Upir –, war in der Literatur bereits im 18. Jahrhundert gebräuchlich.

 

Als erster namentlich erwähnter Vampir gilt der kroatische Bauer Jure Granlo, 1652 gestorben, der aus seinem Grab gestiegen und das ganze Dorf in Panik versetzt haben soll. Ein Jahrhundert später boomte in ganz Europa der Wahn, dass Vampire verantwortlich für Missernten und Seuchen seien. Die vermeintlich Verantwortlichen, allesamt unlängst beerdigt, wurden von Priestern und Ärzten auf ausdrücklichen Wunsch der Gemeinden wieder aus der Erde geholt, enthauptet und verbrannt.

Phantasie umkreist die Angst

Immens war die Angst vor den Untoten. Und da man als Normalbürger nichts mit Stoffwechselkrankheiten wie Porphyrie anzufangen wusste, – Folgen: Lichtempfindlichkeit, Schrumpfen von Lippen und Gaumen, dadurch hervortretende Zähne mit blutig schimmerndem Belag –, entstand so manches Missverständnis. Umso deutlicher dagegen waren die Zeugnisse über berühmte Blutsauger wie den rumänischen Fürsten Vlad III. oder die Gräfin Elisabeth Bâthory, beide Verbrecher an der Menschheit von der abscheulichsten Sorte, um die sich die scheußlichsten Geschichten ranken.

 

Dracula Untold erzählt die rumänische Legende. Und der Vampir lässt die Phantasie der Filmemacher kreisen. In 30 Days of Night (2007, Regie: David Slade) macht er die Dunkelheit zum Schlachthof, in So finster die Nacht berührt er mit der Einsamkeit des Ziellosen, in »Interview mit einem Vampir« nach dem Bestseller von Anne Rice verführt er mit teuflischem Zauber, und in From Dusk till Dawn bietet er groteskes Höllentheater und inspiriert George Clooney zu der interessanten Frage:

 

»Hat irgendjemand ein richtiges Buch über Vampire gelesen oder erinnern wir uns nur an ein paar schlechte Filme? Ich meine, ein wissenschaftliches Buch.«

 

Hat jemand? Nein? Dann nehmt Gesagtes als nichts als die reine Wahrheit, Freunde der guten und bösen Worte.

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Erstellt: 16.04.2020, zuletzt aktualisiert: 09.04.2024 19:17, 18519