Straße nach überallhin (Autor: Roger Zelazny)
 
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Straße nach überallhin von Roger Zelazny

Rezension von Matthias Hofmann

 

Der Piper Verlag ist stets für Überraschungen gut. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass in den 2020er-Jahren SF-Romane von Roger Zelazny in Deutschland wiederveröffentlicht werden? Ich nicht.

 

Sogar gleich zwei Titel stehen für 2023 auf dem Programm. Im Hardcoverformat mit Schutzumschlag. Respekt.

 

Heutzutage gehört Roger Zelazny zu den vergessenen SF-Autoren. Der 1937 geborene US-Amerikaner starb 1995 viel zu früh im Alter von nur 58 Jahren an einem Nierenversagen als Folge von Darmkrebs. Einige seiner Kurzgeschichten sind legendär. Er gewann drei Mal den Nebula-Award und zwei Mal den Hugo-Award. Letzteren bekam er für seinen Roman Herr des Lichts, der für Ende August bei Piper angekündigt ist. Am kommerziell erfolgreichsten waren seine Chroniken von Amber, zwei Fantasy-Zyklen, die insgesamt auf zehn Romane kommen.

 

Eine große Portion seines SF-Werks wird zur sogenannten »New Wave« gezählt, einem Subgenre, das in den 1960er- und 1970er-Jahren aufkam und sich zu einem signifikanten Teil über Experimente mit Form und Inhalt der Geschichten definierte. Zelazny selbst war, so ist überliefert, mit dem Etikett nicht zufrieden und lehnte es für sich sogar ab. Aber allein Titel wie z. B. Die Türen seines Gesichts, die Lampen seines Mundes für seine Novelle, die 1966 den Nebula gewann, sprechen eine eigene Sprache.

 

Piper hat den Roman Straße nach überallhin ausgewählt, um Zelazny wieder salonfähig zu machen. Ein ziemliches Wagnis, denn der Roman zählt zu den experimentelleren Werken dessen Œuvres. Er erschien im Original 1979 bei Del Rey als Hardcover mit einer schönen Titelillustration von Darrell K. Sweet. Man sieht darauf einen alten Pickup-Truck auf einem Highway durch die Wüste fahren. Ein Schild zeigt die nächste Ausfahrt »Last Exit to Babylon« und über dem Auto schwebt ein geflügelter Drache. Auf Deutsch erschien das Werk recht zeitnah 1981 im Moewig Verlag mit einem grausam schlechten, unpassenden Titelbild von Alan Daniels und einem Essay von Hans-Joachim Alpers, dem damaligen Herausgeber der Moewig-SF-Reihe.

 

Das zentrale Element der Handlung ist eine Straße, die durch die Zeit führt. Auf diesem Highway können bestimmte Personen in die Vergangenheit fahren, aber auch in die Zukunft. Eine faszinierende Idee, die ein Kaleidoskop an Ideen offeriert, was Zelazny auch ausgiebig nutzt. Wenn man eine Ausfahrt nimmt, landet man an verschiedenen Orten in verschiedenen Zeiten. Je nach dem was passiert, ändert sich auch die Zukunft, was zu diversen Alternativzukünften führt.

 

Prinzipiell wird die Geschichte von Red Dorakeen erzählt, der von einer ganzen Reihe von Attentätern verfolgt wird. Der experimentelle Charakter offenbart sich gleich zu Beginn des Buchs, denn es beginnt mit Kapitel 2 und danach folgt Kapitel 1. Mehr gibt es nicht, denn diese Handlungsstränge wechseln sich ab. Nach »1« folgt wieder »2«, dann »1«. Und so weiter.

 

Nur die Handlung des Strang 1 ist mehr oder weniger chronologisch aufgebaut. Die Handlung von Strang 2 ist non-linear und springt hin und her, schildert die Ereignisse um die Verfolger von Red, handelt aber auch von Reds Sohn Randy und Leila, einer Frau, deren Schicksal eng mit dem von Red Dorakeen verknüpft ist.

 

Beim Lesen wird all das erst allmählich deutlich. Strang 1 ist die Handlung auf der Straße. Strang 2 handelt von Ereignissen und Personen abseits der Straße. In einem Interview, das in einer Collection seiner Storys abgedruckt wurde, erklärte der Autor seine Herangehensweise (zu finden in: The Collected Stories of Roger Zelazny Volume 4: Last Exit to Babylon, NESFA Press, 2009): Kapitel Zwei habe er einfach in Einzelteile zerschnitten, die Blätter aufeinander gestapelt und durcheinander gemischt bevor er sie jeweils zwischen Kapitel Eins einfügte. Das Ergebnis war dem damaligen Lektor zu konfus, so dass ihre Anordnung vor der Buchveröffentlichung ein paar Mal geändert werden musste.

 

Die Lektüre von »Straße nach überallhin« ist insgesamt eine große Herausforderung. Das war schon nach der Erstveröffentlichung in den USA so, denn die Kritiken in den einschlägigen Magazinen waren eher durchwachsen. Der SF-Autor Spider Robinson rezensierte damals für Analog und meinte, dass er nichts zu kritisieren, aber auch nichts zu loben hätte. Er habe das Buch zwei Mal gelesen. Schon kurz nach der Lektüre des Vorabexemplars konnte er sich an nichts mehr erinnern, außer der Grundidee. Beim zweiten Lesen, nach Veröffentlichung des Buchs, war es genauso.

 

Der renommierte Kritiker Baird Searles schrieb in Asimov’s Sf Magazine, dass das Buch voller großartiger Ideen wäre, die aber nicht richtig ausgearbeitet wurden. Und Darrell Schweitzer setze in SF Review noch einen drauf, in dem er das Buch als »Wegwerfroman« bezeichnete. Für ihn sei »Straße nach überallhin« ein zweiklassischer Zelazny, bei dem das Storytelling komplett aus dem Ruder gelaufen wäre und völlig der Grundidee, einer Straße durch die Zeit, unterordnet worden war. Der Roman wäre »schlampig« und hastig geschrieben.

 

Soweit würde ich nicht gehen. Es ist natürlich ein ziemliches Wagnis, einen Roman abzuliefern, den die meisten Leser nicht kapieren oder der sie zumindest ratlos zurücklässt. Ich bin mir sicher, dass viele der Leser der Piper-Neuausgabe die Intention des Autors erst erfassen, wenn sie das Nachwort von Uwe Anton gelesen haben, der sich wiederum in großem Umfang beim englischen Wikipedia-Eintrag bedient zu haben scheint.

 

Großartig ist in jedem Fall die Idee, zwei Gedichtsammlungen als Künstliche Intelligenzen zu etablieren, die mit den Protagonisten interagieren. Hierbei handelt es sich um Die Blumen des Bösen von Charles Baudelaire und Grashalme von Walt Whitman, die beide im zeitgenössischen Umfeld u. a. wegen ihrer sexualisierten Bildersprache für eine kontroverse Rezeption sorgten.

 

Unterm Strich lässt sich feststellen, dass es einerseits eine Freude ist, einen Roger-Zelazny-Roman in einer Neuübersetzung als Hardcover wiederveröffentlich zu sein, aber man sich andererseits leicht über die Selektion des Werks wundert. Es wäre besser gewesen, zuerst »Herr des Lichts« für die 2023er-Leserschaft auszugraben. Und danach ein experimentelles Werk wie »Straße nach überallhin«.

 

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Buch:

Straße nach überallhin

Original: Roadmarks, 1979

Autor: Roger Zelazny

gebundene Ausgabe, 256 Seiten

Piper, 27. April 2023

Übersetzung: Jakob Schmidt

Nachwort: Uwe Anton

 

ISBN-10: 3492706363

ISBN-13: 9783492706360

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0BKL71BG2

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 09.07.2023, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 22012