Fantasyguide: Im Gegensatz zu vielen anderen Fantasy-Werken, die mit der antiken Mythologie spielen, bleibst Du in der Antike. Ein bewusster Gegentrend?
Bastian Brinkmann: Nein, um Trends geht es nie. Weder irgendwelchen Trends nachzulaufen noch irgendwelchen Trends bewusst entgegenzulaufen. Ich schreibe einfach die Stoffe, die irgendwo in mir drinstecken.
Viele Leute haben ein Problem mit der Schublade. Aber ich bin ein Freund von Genres und – darüber hinaus – »reiner« Genres. Ich kann z. B. mit Urban Fantasy überhaupt nichts anfangen. Fantasy gehört für mich immer in ein längst vergangenes, mythisches Setting, in dem mit dem Schwert gekämpft wird.
Bei mir gibt's halt die reine Mythologie. Und nichts anderes. Der Leser soll wissen, woran er bei mir ist. Das steckt einfach in mir drin und das lasse ich einfach raus.
Fantasyguide: Aber »Arachneion« ist ja gerade ein Werk zwischen allen Stühlen. Wie passt das für Dich zusammen?
Bastian Brinkmann: »Arachneion« hat mit Sicherheit – gerade zum Ende hin – einen gewissen Grusel- bzw. Horror-Einschlag. Trotzdem bleibt es in jedem Moment eine epische Tragödie klassischer Machart.
Fantasyguide: Die Erkenntnis, dass Götter nicht besser als Menschen sind, könnte man auch als Bekenntnis verstehen. Bist Du ein Autor mit Botschaft?
Bastian Brinkmann: Ja und nein: Ich schreibe ziemlich »organisch«, d. h. ich lasse die Story einfach aus mir herausfließen. Ich denke nicht darüber nach, irgendwelche Botschaften einzubauen. Ich lasse die Figuren agieren und schreibe einfach mit. Ziemlich schizophren irgendwie. Mit Sicherheit steckt da meine persönliche Weltanschauung drin, die Dinge, die mich beschäftigen, mich vielleicht ausmachen, meine persönliche Originalität.
Aber es geht mir nie darum, da irgendwas absichtlich reinzupacken oder dem Leser »unterzujubeln«. Der Leser begleitet mich auf einer Reise durch eine von mir geschaffene Welt und hat im besten Fall eine gute Zeit dabei.
Fantasyguide: Meine Lieblingsgöttin ist Aphrodite, aber die taucht in »Arachneion – Pallashass« nicht auf. Dafür gibt es aber zwei Sexszenen. Warum eigentlich?
Bastian Brinkmann: Warum es zwei Sexszenen gibt? Nun, wenn ich als alte Jungfer Jahrzehnte (oder eher Jahrhunderte, gar Jahrtausende?) allein gewesen wäre und mein vor Jahren Verflossener, für den ich mich aufgehoben habe, steht plötzlich vor meiner Tür oder ich bin eine alte Weberin, die nichts als ihre Arbeit kennt, und ein junger knackiger Kerl zieht bei mir ein, na ja … hat sich wohl so’n bisschen was angestaut bei den Damen.
Auch hier finden wir wieder diesen modernen Anstrich: Bei mir werden keine holden Helenen gefreit, bei mir haben Charaktere Sex. Es wird gepimpert und gepoppt. Und das sind nicht irgendwelche wohlerzogenen Kavaliere, die mit Laute und Lyra unterm Balkonfenster stehen, sondern zwei vertrocknete alte Weiber, die sich nehmen, wonach es ihnen verlangt – und das nicht unbedingt im gegenseitigen Einvernehmen.
Allerdings finde ich jetzt nicht, dass da irgendwas explizit dargestellt wird – nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht.
Für Aphrodite-Fans hab ich aber definitiv was in petto: In meiner nächsten Veröffentlichung wird sie eine der Hauptfiguren sein.
Fantasyguide: Beim Lesen ist mir irgendwann der Spoilergehalt des Titels aufgefallen. Gehst Du davon aus, dass die Geschichte der Arachne so bekannt ist?
Bastian Brinkmann: Mir fällt grad zum ersten Mal die Doppeldeutigkeit des Titels auf: Für mich war »Pallashass« immer nur der Hass der Athene. Du hast den Begriff scheinbar als Hass auf Athene gedeutet. Interessanter Ansatz. Und gar nicht mal so daneben, wie ich finde. Immer wieder interessant, was Leser für sich aus einer Story so rausholen (und was man selber von Lesern über seine eigene Geschichte lernen kann).
Ich glaube nicht, dass es wichtig ist, sich mit dem Arachne-Mythos auseinanderzusetzen, um mit der Story seinen Spaß zu haben. Man sollte bloß immer im Hinterkopf behalten, dass ich das, was ich schreibe, als »Alternative« Mythologie bezeichne: »Arachneion« ist nun ziemlich nah am Original-Mythos dran, aber ich hätte z. B. keinerlei Skrupel, Herkules den Trojanischen Krieg gewinnen zu lassen oder Ähnliches.
Wer die Original-Mythen kennt, ist also herzlichst dazu eingeladen, sein Wissen zu erproben, ob er herausfindet, was nun original ist und was nicht.
Fantasyguide: Mal davon abgesehen, dass Herkules seinen Krieg gegen Troja gewann – wäre die »Illias« als Grundlage nicht bereits extrem ausgelutscht?
Bastian Brinkmann: Mythen sind generell zeitlos. Und von daher nie ausgelutscht. Vor allem dann nicht, wenn man alternative Versionen vorhandener Mythen schreibt.
(Es sei denn, Wolfgang Petersen hätte kurz zuvor Troja rausgebracht, dann würde ich davor zurückschrecken, »im Fahrtwind« einen »Ilias«-Stoff rauszubringen.)
Ja, der Herkules hat da schon mal ein paar Jahre vorher ordentlich rumscharmützelt. Nach seinem »Tod« ist er dann dem Philoktetes erschienen und rief ihn auf, in den Trojanischen Krieg zu ziehen …
Den Herkules den Trojanischen Krieg gewinnen zu lassen, wäre aber trotzdem etwas Neues, Alternatives. Man stelle sich nur mal vor: Die Achäer mühen sich da zehn Jahre lang vergebens ab, Herkules kann das Elend nicht mehr länger mit ansehen und macht's dann halt selbst … hätte schon etwas.
Fantasyguide: Ich mochte ja immer den Stoff der Elektra, auch Götter induzierter Hass. Was reizte Dich an diesem Thema?
Bastian Brinkmann: Das Bild der Götter als machthungrige, den Menschen unfreundlich gesinnte Wesen wird ziemlich klar im Prometheus-Mythos dargestellt: Prometheus wird dafür bestraft, den Menschen das Feuer gebracht zu haben. Und als Rache an den Menschen entsendet Zeus die Pandora mit der entsprechenden Büchse und bringt Tod und Leiden über die Menschen. Ich wüsste nicht, wie man die Götter in diesem Zusammenhang als freundliche und den Menschen liebevoll gesinnte Wesen darstellen könnte.
Überhaupt ist die griechische Mythologie voll von Verrat, Intrige, Kannibalismus und Ehebruch. Man muss da nichts umbiegen, um diese vermeintlich »edlen« Olympier als ziemliche … darzustellen.
Fantasyguide: Wie bist Du beim Verseschmieden vorgegangen? Es gibt einige Füllvokale aber zum Glück nur ganz selten schlimme Grammatikverbiegungen …
Bastian Brinkmann: Ich liebe diese Grammatikverbiegungen! Ansonsten lasse ich die Figuren einfach »frei Schnauze« reden und schreibe mit. Nur der Rhythmus muss passen: Alles muss fließen, fließen, fließen … man muss das Ding auf jeder Seite aufschlagen können und sofort vom Rhythmus gepackt werden, dann passt es.
Fantasyguide: Etwas unklar blieb mir die dramatische Funktion von Autolykos. Wolltest Du den Idmon überdecken? Oder ist er ein möglicher Weg in einen Nachfolgeband?
Bastian Brinkmann: Der Autolykos war einfach plötzlich da: Es gibt da diese Szene mit dem Zecher, der durch die dunklen Gassen Myrinas torkelt. Eine Szene später hockt der Autolykos plötzlich auf 'nem Dach und blickt auf die Leiche des Zechers hinunter, kurz darauf tippt ihm sein Vater Hermes von hinten auf die Schulter sozusagen und so führte eins zum anderen. Ich habe die Geschichte so aufgeschrieben, wie ich sie erlebt habe.
Zur dramatischen Funktion: Bei mir gibt es so etwas wie eine festgelegte dramatische Funktion nicht, wo man jedem Charakter seine Plot-technische Aufgabe zuweist. Ich schreibe über lebendige, organische Figuren, die alle ihre eigenen Geschichten erleben, und im Zeitrahmen von Arachnes Geschichte gab es für Autolykos das zu tun, was er getan hat. Er wird sich nun auf seine eigene Quest begeben, unabhängig davon, ob ich darüber schreiben werde oder nicht. Ob wir erfahren werden, was passieren wird … wer weiß? Seinen Geschäften in dieser fiktiven Welt geht der König der Diebe trotzdem nach.
Interessant finde ich immer die Frage nach einer Fortsetzung. Jeder Leser hatte bislang eine andere Vorstellung davon, wo die Geschichte weitergehen könnte. Eigentlich war »Arachneion« jedoch als eigenständiges Werk geplant.
Das Bindeglied zu einem Nachfolgeband liegt für mich allerdings an einer ganz anderen Stelle – die bisher noch niemandem aufgefallen ist. So’n bisschen habe ich das Gefühl, den Nachfolger an dieser Stelle nahtlos weiterschreiben zu können. Auch einen Titel hätte ich schon. Aber vorher will ich endlich meine Serie rausbringen, sonst wird das nie was.
Fantasyguide: Welche Serie?
Bastian Brinkmann: Ich greife einen der ganz großen Mythen auf. Aber bevor da nicht irgendwas veröffentlicht ist, hülle ich mich erst mal in Schweigen.
Fantasyguide: Und dann die Sache mit dem Äther. Steampunk verkauft sich auch nicht besser als Versdichtung – eine Erweiterung der Zielgruppe oder steckt da mehr dahinter?
Bastian Brinkmann: Der Aether - mit Ae bitteschön - ist ein elementarer Teil bzw. Nicht-Teil des Totenreiches. Etwas völlig frei Erfundenes. Um mal aus meinem Wiki zu zitieren:
»Der Aether ist der Zustand, den die Toten erreichen, die jede Stofflichkeit verloren haben. Im Aether sein Dasein zu fristen, ist die größtmögliche existierende Bestrafung. Im Aether nicht-existiert alles als Nebel und Schatten.«
Der Aether ist also neben Tartarus, Asphodeliengrund und den Elysischen Feldern vereinfacht ausgedrückt »nur« ein weiterer - wenn auch ganz besonderer - Teil des Totenreiches. Ziemlich g(r)eekige Geschichte, wenn du mich fragst.
Was das Thema »Zielgruppe« angeht: Ich schreibe das Zeugs, auf das ich Lust habe und was zu mir passt. So Sachen wie Verkäufe, Zielgruppe etc. interessieren mich nicht - sonst würde ich wohl kaum so schreiben, wie ich schreibe.