Ein unerwarteter Besuch zum Julfest (Autor: Oliver Kotowski)
 
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Ein unerwarteter Besuch zum Julfest

Oliver Kotowski

 

Ein Alien hieß N0-E-T5-0B, aber seine Mitarbeiter nannten es N0-0B. Es war mit 60 cm hochgewachsen und hatte eine schöne glatte und weiße Haut. Ihm war der Ehrgeiz durch die Klonkammer in die Gene geschrieben worden. Im zarten Alter von vier Jahren trat es bereits der intergalaktischen Hilfsorganisation »7.500 K« bei und nach weiteren vier Jahren harter Arbeit sollte es sein erstes Projekt leiten können.

Nun stand es vor dem Konzil für die ethischen Belange intelligenter Lebensformen (KfdeBiL), blinzelte nervös mit den großen, schwarzen Augen und übermittelte telepathische Botschaften an den Transcogiator. Es stellte die Handlungsschemata der Sprachträger des Altnordischen vor, einer Kultur des homo sapiens sapiens. Hier hatte es sich die Bewohner der Insel mit der Position 63° 23’ bis 66° 32’ Nord und 13° 30’ bis 24° 32’ West ausgesucht. Um die schrecklichen Sitten der Epichoren zu demonstrieren, die sich selbst »Isländer« nannten, schloss es den Hauptteil mit der Ausführung eines Blutaars ab. Die Delegierten des KfdeBiL gaben die verschiedensten Zeichen von Abscheu und Entsetzen von sich, der Dendrit wurde sogar ganz schlaff, nur der Führer der Wirtschaftsfraktion, ein ausgekochter Mi-Go, färbte sich rot und klappte ärgerlich mit den Scheren. Zuletzt legte N0-0B dar, dass die Isländer sich gerade Gesetze geben wollten, und daher ein Zeitfenster für eine erhebliche Einflussnahme bestand.

N0-0B wurde hinaus gebeten, und die Diskussion begann.

 

Euphorisch ging N0-0B mit seinen Kollegen J4Y1 und Y010 noch einmal die Aufgaben durch. Es telepathierte ihnen ein paar Bilder der Isländer und die grundlegenden Informationen zur Kultur.

- - J4Y1, ich möchte, dass du zum Kulturexperten wirst. Lerne alles, was wir beim Kontakt mit ihnen wissen müssen. - -

- - Okay. Werden wir die Drohnen fernlenken oder direkt eingespeist? - -

Es war geplant, dass die Gruppe mit Hilfe von biologischen Drohnen, die nach den Spezifikationen des Phänotyps der Isländer konstruiert wurden, die Begegnung mit den homo sapiens sapiens durchzuführen.

- - Ich würde die Fernlenkung bevorzugen; wir haben Zugriff auf die Datenbanken und wenn es schiefläuft, müssen wir nur die Drohnen abschreiben. - -

- - Wäre ein gemischtes Herangehen nicht vielversprechender? Ohne Einspeisung geht uns die authentische Erfahrung verloren, und wir müssen die verlängerte Reaktionszeit in Kauf nehmen. Langsame Gesprächspartner wirken nicht gut auf die Epichoren. Ich meine, ein oder zwei lassen sich einspeisen und der Rest lenkt fern, um die Datenbanken zu nutzen. Klar, wenn man in einer Drohne sitzt, die ausfällt, ist das unangenehm, aber auch nicht weiter schlimm. - -

- - Ich will Loki sein! - -, mischte Y0l0 sich ein, - - Kann ich Loki sein? - -

- - Nein, keine Götter. Du kannst die Drohnen machen. - -

- - Welche Kammer nutzen wir? - -

- - Die bei 65° 32’ Nord und 13° 49’ West. - -

N0-0B dachte einen Augenblick nach.

- - Wir brauchen noch eine Bestechung. - -

- - Ein Gastgeschenk - -, warf J4Y1 ein.

- - Auch gut. Ich habe gelesen, dass die Isländer die Ethanol-Resorption schätzen. Ich will ihnen etwas geben, dass sie umhaut! - -

- - War das ein Wortspiel? - -

N0-0B blinzelte verwirrt.

- - Ich verstehe die Frage nicht? - -

Y0l0 meldete sich wieder.

- - Das kann ich machen. J4Y1, gibst du mir die Spezifikationen für die Einbettung? - -

- - Fermentierte Körner der Hordeum vulgare, besser noch vergorene Trauben der Vitis vinifera. - -

- - Da mache ich was Feines! - -

 

 

Eine Wiese im Winter. Das Gras war gelb-braun, wo es durch den Schnee schaute. Die Wiese fiel wellig zum zugefrorenen Fjord ab. Am Ufer stand ein umfriedeter Hof, der aus einem mit Grassoden gedecktem Langhaus, drei Wirtschaftshäusern und einem kleinen Acker bestand. In Ufernähe war eine kleine Schar von bunt gekleideten Gestalten zu sehen, von denen zwei Paare mit Holzknüppeln einen kleinen Ball über das Eis schlugen. Die anderen feuerten die Spieler johlend an. In einiger Entfernung zum Hof war noch ein eingefriedeter Heuschober auf der Wiese. Doch hinter der Wiese lag ein hohes Felsplateau. Schwarz durchbrachen scharfkantige Steinblöcke das Weiß des Schnees. Oben auf der der See zugewandten Seite des Plateaus gab es eine schwer einsehbare Nische im Fels. Für die Länge eines Augenzwinkerns schwirrte die Luft in der Nische, dann erschienen dort drei Gestalten. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie feingliedrige Menschen. Sie hatten goldblondes Haar und himmelblaue Augen. Sie schauten sich an und strichen sich über die mit Pelz besetzten Mäntel.

»Warum haben die Drohnen nur ein Nasenloch?«, fragte die weibliche Gestalt.

»Nur ein Nasenloch? Ist das falsch? √-2!«, fluchte die nächste Gestalt.

»Ich kann nichts dafür! Als die Spezifikationen für die Physiologie an die Drucker ging, hatten sie noch zwei! Ehrlich!«, beteuerte die dritte Gestalt.

Die drei machten sich vorsichtig an den Abstieg, dann gingen sie auf den Hof zu.

»Ist wenigstens die Bestechung …« – »Gastgeschenk!« – »Ja doch, das Gastgeschenk, ist das wenigstens fertig?«

Hierauf holte die dritte Gestalt eine dunkelblaue Flasche aus opakem Glas unter dem Mantel hervor. Unterhalb des Flaschenhalses war ein Siegel aus Golddraht eingelassen, welches den aus einem Horn trinkenden Thor darstellte.

»Also, im Flaschenboden ist ein Replikator eingelassen. Der misst den Innendruck der Flasche und repliziert so lange Flüssigkeit, bis er erkennt, dass die Flasche wieder voll ist. Diese Flüssigkeit ist das gewünschte Ethanol, eingebettet in den Saft der Vitis vinifera

Bedeutungsvoll setzte die Gestalt hinzu: »40%.«

»Oh, das ist aber ganz schön vie…«, begann die weibliche Gestalt, bevor sie von der ersten unterbrochen wurde.

»π! Das klingt gut! Wirklich schön!«

»Aber das Beste ist die Koppelung mit der photovoltaischen Zelle im Siegel«, fuhr der Flaschenhalter fort. »Der Replikator hat Energie für etwa einen Kubikmeter Flüssigkeit, doch so lange das Siegel im Licht steht, lädt es ihn wieder auf. Im klaren Licht der Zenitsonne kann es in einer Stunde bis zu 1% der Ladekapazität erneuern. Ohne grobe Gewalt hält das System mindestens 400 Jahre! Na, das ist was, oder?«

 

Als die Drei in die Nähe des Hofes kamen, verließ ein Mann in schlichter Kleidung das Langhaus und lief zur bunten Schar. Bald passierte diese die Ecke das Hofes. Es war ein gutes Dutzend Männer, alle in farbenfrohen Mänteln gekleidet. Sie stapften durch den Schnee, ihre Haltung war ein wenig angespannt, auch wenn noch die Ausgelassenheit des Spiels nachklang. Drei Männer gingen dem Haufen voran. In der Mitte war ein großer, kräftiger Mann mit schwarzem Haar. Sein Mantel und seine Hosen waren von einem leuchtenden Rot, und zahllose aufgenähte, polierte Goldplättchen glänzten im Sonnenlicht. An seiner rechten Seite ging ein stattlicher Mann mit blonden Haaren, das von den weißen Strähnen darin noch heller wurde. Sein Mantel war von einem kräftigen Grün, seine Hosen gelb mit grünen Streifen. Linker Hand ging der schlicht Gekleidete, seine Hosen und sein Kittel waren aus grauer Wolle. Er war blond und kleiner als die beiden anderen. Er sprach gedämpft und zeigte auf die Fremden.

»Heda! Wer seid ihr Knirpse?«, rief der Mittlere.vLangsam gingen die beiden Gruppen weiter aufeinander zu.

»Wir sind Reisende von weither«, sprach der erste Fremde. »Wir kommen aus Widblainn im dritten Himmel. Ich heiße Bárdur, dies ist meine Tochter Helga«, hier wies er auf den zweiten Fremden, dann wandte er sich zum dritten, »und dies ist mein Schwestersohn … Toki.«

»So, so, Fremde aus Widblainn. Und was wollt ihr hier?«

Ein Moment der Stille verging.

»Wir wollen zu Grím Geitskör, da man uns erzählte, er wäre ein freigiebiger Mann und würde ein prächtiges Julgelage feiern. In unserer Heimat feiern wir kein Jul, doch wir wollen es und wollen uns daher anschauen, wie man es richtig macht. Wir haben euch eine Be-«, hier unterbrach sich Bárdur, »Wir haben euch ein Gastgeschenk mitgebracht.«

Toki holte die Flasche hervor, und die Augen der Isländer blitzten auf, doch einer aus der Menge rief: »Die haben ja nur ein Nasenloch!«

Ein Raunen ging durch die Schar, es bildete sich ein Halbkreis um die Fremden, einige Isländer beugten sich vor, um die Nasen von unten betrachten zu können. Auch der Größenunterschied wurde deutlich: Die Isländer waren mindestens einen Kopf, zum Teil sogar weitaus größer.

Die beiden Männer in der Mitte schauten ungerührt auf die Drei herab.

»Was hat es damit auf sich? Seid ihr Trolle, oder was?«

Helga antwortete schnell: »Nein wir sind keine Trolle. Wir sind Alben. Alben aus Widblainn. Wir sind die Todfeinde von Trollen. Trolle haben uns einen Teil unserer Zauber gestohlen. Wir habe Zauber gesungen, damit die Ernte gut wird, alle Pflanzen, Tiere und Menschen gedeihen, doch die Trolle sind in der Nacht gekommen, und haben uns bestohlen. Sie singen unsere Zauber, um Menschen zu schaden, darum sind wir ihre Todfeinde.«

Toki drehte die Flasche, so dass sie im Sonnenlicht aufblitzte.

»Na, was haben wir den da?«, murmelte der Schwarzhaarige.

»Ein Wein, wie ihn der König in Konstantinopel nicht zu trinken bekommt. Die Griechen haben die Kunst des Weinmachens von uns gelernt.«

Der Schwarzhaarige begann zu lächeln.

»Ich bin übrigens Grím Geitskör, und das ist Ulfjót, der Sohn meines Ziehvaters. Wenn ihr kein Unglück mitbringt, seid ihr willkommen zum Jul.«

 

Die Schar trat durch die Tür in das Langhaus. Der Geruch von Qualm, gebratenem Fleisch, getrocknetem Fisch und menschlichen Ausdünstungen schlug ihnen entgegen. N0-0B sah die olfaktorischen Ausschläge auf dem Monitor und war froh, sie nicht riechen zu müssen. Er ließ die Bárdur-Drohne einen raschen Blick auf die Helga-Drohne werfen, und sah, wie sie um die Kontrolle der Gesichtszüge kämpfte. 0, dachte er bei sich, von wegen einspeisen lassen!

Im Zwielicht der Halle wuselten zahlreiche Knechte und Mägde umher, um die gebrüllten Anweisungen der Hausherrin auszuführen: In den Kochgruben um die große Feuerstelle wurde Gerstengrütze gekocht und Blutpudding gebacken, im Feuer selbst wurden ein ganzes Schwein und weitere Fleischstücke gebraten, ein Mädchen achtete darauf, dass niemand das Feuer des Julblocks störte, ein Fass mit Julbier wurde durch den Raum hin zur Wohnkammer gerollt. Jeder hatte den Umstehenden etwas zuzurufen.

Die Männerschar folgte dem Fass, ein paar reich gekleidete Frauen schlossen sich an.

Als sie an der westlichen, der See abgewandten Seite der Halle angelangt waren, sammelten sie sich an der kleinen Feuerstelle zwischen den Bänken. Grím winkte einen kräftigen Mann in dunkler Kleidung heran. Ihm folgten ein Junge von vielleicht neun Jahren und eine ansehnliche rothaarige Frau mit silberdurchwirkter Kleidung.

»Das hier ist Hrafnkell Freysgodi mit seinem Sohn Thórir und seiner Frau Oddbörk.«

»Weder opfere ich weiter den Götter, noch bin ich länger ein Gode, also lass den Beinamen weg.«

»Du opferst nicht mehr? Wie kommt das?«

»Sám hat Freyfaxi im Meer ersäuft.«

»Ach, das ist Schade, er war so ein prächtiger Hengst. Doch gräme dich nicht, ich ahne, dass die Zeit den Frevel an den den Göttern geweihten Tieren nicht wohlwollend entlohnen wird.«

Während die Männer sich unterhielten, blickte Thórir verstohlen in die Halle hinein. Helga folgte seinem Blick. Er fiel auf einen sehr großen Jungen mit grobem, hässlichem Gesicht und dunklen Haaren, der böse zurück starrte.

Hrafnkell fragte: »Weißt du, wen die Sída-Leute schicken?«

»Hrollaugs Sohn Össur Keilisel war angekündigt, aber das wird sich zeigen.«

Mittlerweile war das Mahl vorbereitet und Grím begann, die Gäste auf die Bänke aufzuteilen. Die Drohnen von N0-0B und J4Y1 landeten in der Wohnkammer bei den hohen Herren, Y0l0 zusammen mit Thórir und dem hässlichen Jungen, der Egill Skalla-Grimson hieß, beim geringeren Gefolge und Jungvolk. Für die Herren wurden Runenknochen geholt, damit Trinkpaare ausgelost werden konnten. Bárdur wurde Thórdís, einer vierschrötigen Bäuerin aus dem Gefolge Gríms, und Helga Thorkell, einem alten Wikinger, der sich bislang keinem Gefolge angeschlossen hatte, zugelost.

 

Toki trank ein Julbier. Y0l0 ärgerte sich ein wenig darüber, dass er sich nicht hatte direkt einspeisen lassen. Die Drohne trank und trank, er konnte die Effekte des Ethanols auf die System der Drohne beobachten, wirklich spüren aber eben nicht.

»Wohl, du hältst ganz gut mit, für so einen Knirps!«, meinte Thórir, nachdem eine Magd ihm eingeschenkt hatte.

»Ach, euer Bier ist doch bloß gelb-gefärbtes Wasser. Ich hoffe, wir bekommen noch ein paar Schluck aus der Flasche, die Grím geschenkt bekommen hat.«

»Was ist denn mit der Flasche?«

Thorgeir, ein junger Isländer, hatte zugehört.

»Es ist ähnlich wie euer Wein, aber ich habe ihn stärker gemacht, stärker noch als den Griechen-Wein.«

»Das werde ich prüfen. Im Sommer werde ich mit meiner Verwandten Åsa nach Konstantinopel fahren.«

»Wenn ihr den Griechen-Wein noch destillieren würdet, könntet ihr ihn ebenso stark machen.«

»Was heißt ›destillieren‹?«

Toki erklärte es. Auch Egill hatte zugehört.

»Du scheinst ja mächtig große Stücke auf dich zu halten! Das wollen wir doch noch erproben. Wenn …«

Egills Worte gingen im Gebrülle der Männer in der Haupthalle unter.

»Tauziehen! Tauziehen! Tauziehen! Tauziehen! Tauziehen!«, skandierten sie.

Einer rief immer: »Zautiehen!«

Das Ethanol begann zu wirken.

 

Auch bei den Herren wurde getrunken. Während Bárdur versuchte, ein Gespräch mit Ulfjót über die Grundlagen den Ethik anzuknüpfen – ob der Sprechpausen verlief es zäh, zumal Ulfjót lieber das Pferdefleisch essen wollte, solange es heiß war, und sich an die Gesetze der Vorfahren in Norwegen richten würde – versuchte Helga den Avancen ihres Trinkpartners Thorkell zu entgehen. Thorkell hatte einen Ruf als Eroberer, und den wollte er verteidigen, Helga indes wollte in nächster Zeit nicht erobert werden und schon gar nicht von Thorkell, der gerade seinen Humor demonstrierte, indem er einen Streifen Stockfisch durch den Bart und eine Zahnlücke in den Mund schob.

»Die Schlange des Schwertbaums sucht sich ein Lager zwischen den Wurzeln der Goldbirke!«, kommentierte er den Vorgang mittels Kenningar.

Das fanden einige der Herren durchaus witzig.

Dann ging ein Raunen durch die Halle, und eine prächtig gekleidete Frau samt Gefolge schritt schwungvoll in die Wohnkammer.

»Grím!«, rief die große blonde Frau aus, wobei ihr der grüne, mit goldenen Stickereien verzierte Umhang um die langen Beine schlug. Eine Hand lag dabei auf dem Schwertknauf, die andere Streckte sie in die Luft.

»Åsa!«, rief Grím, sprang auf, stieß dabei gegen den Tisch, sodass er beinahe in den Raum kippte.

»Setz’ dich zu mir!«

Ein paar der Herren wurden zum geringeren Gefolge degradiert und verließen unter Murren die Wohnstube.

»Wie ergeht es euch in Birka? Lässt der alte Björn euch in Ruhe?«

»Ich habe Met mitgebracht. Aber das ist nicht alles.« Åsa setzte sich und begann zu erzählen.

 

Am anderen Ende der Halle schauten die Jungen und Toki gerade einem Trinkwettkampf zu. Thórólf, der zum Gefolge Hrafnkells gehörte – Thórir war auf seiner Seite –, trank gegen Thorgrím, der zum Gefolge der Sída-Leute gehörte, aber vorweg gegangen war, um seinen Herren anzumelden. Während Thorgrím sich abmühte, den letzten Schluck aus dem Horn zu trinken, schmähte Thórólf dessen Männlichkeit quer durch den Raum. Thorgrím stand vorsichtig auf und taumelte mit der Würde Sturzbetrunkener zu seinem Widersacher. Alle schauten gebannt zu, wie der Niederlage Ausdruck verliehen werden solle. Der Sída-Mann packte den Siegesgewissen, öffnete seinen Mund und erbrach einen Schwall in dessen Gesicht. Thórólf entleerte seinen Magen daraufhin in seinen eigenen Schoß.

Thorgrím trat einen Schritt zurück, nickte und lallte: »Dieser Ehrentrunk gebührde dir. Jetzt binn nich abe’ durstich un’ brauch noch ’n Horn!«

Toki bemerkte, dass Thórir vor Empörung außer sich war, Egill aber feixend zugesehen hatte.

Thórólf sprang auf, erst flogen Fäuste, dann Zähne und bald konnte man sich wieder setzen.

 

Åsas Dichtertrunk mundete, regte das Gespräch an, die Kehlen wurden trocken und rasch war die Köstlichkeit geleert. Da erinnerte Bárdur an sein Geschenk. Auch prahlte er, dass jeder in der Halle sein Horn so oft füllen könne, wie er könne, die Flasche würde nicht leer. Das wollte erprobt werden. Die ersten Hörner wurden gefüllt und geleert, zunächst waren die Trinker nicht begeistert, doch sobald man sich an die Stärke des Albenweins gewöhnt hatte, wurde viel Lob ausgesprochen. Bald schien es eine gute Idee zu sein, ein wenig Eckenverstecken zu spielen. Thórsteinn aus dem Gefolge Gríms wurde ein Tuch um die Augen gebunden, dann sollte er eine der kichernden Frauen oder der prustenden Männer haschen. Als Thorkell an der Reihe war, taumelte er zielstrebig auf Helga zu. Alle nahmen an, er habe beim Umbinden des Tuchs geschummelt. Åsa forderte eine Korrektur ein. Um seine Sicht zu prüfen, tat sie, als ob sie ihn einen Nasenstüber geben wolle. Allerdings hatte sie sich wohl ein wenig verschätzt und schlug ihm die Nase blutig.

Alle mussten lachen, außer Thorkell, der guckte böse drein, und Bárdur, der sich das Ganze regungslos ansah.

 

1/0, dachte N0-0B.

- - Y0l0, meine Drohne funktioniert nicht richtig. Schaust du mal? - -

 

»He, du Wicht, ich rede mit dir!«, brüllte Egill. Toki betrachtete ungerührt seine Hände. Egills zielgenau geschleuderter Oberschenkelknochen erwischte Toki im Gesicht und warf ihn rückwärts von der Bank.

 

J4Y1 hatte den hohen Ethanol-Gehalt gleich für eine dumme Idee gehalten. Da es direkt in die Drohne eingespeist war, war der Konsum eine doppelt dumme Idee. Es hatte ernsthaft versucht, sich aus der Trinkerei herauszuhalten. Doch gerade hatte Åsa es erneut zu noch einem Horn überredet. J4Y1 konnte nicht mehr gerade stehen, geschweige denn gehen, ihm war schwindelig, dazu speiübel, und da musste Thorkell mit seinem Zwillingsbruder kommen. Es erbrach sich direkt vor seinem Trinkpartner. Der war nun kurz vor dem Platzen. Ein unartikulierter Laut entwich seinem Mund.

Åsa klopfte ihrem Gefolgsmann auf die Schulter und ging zu Helga. Der Gefolgsmann raunte ein paar Männern zu, dass es jetzt soweit sei, und schaute zu, wie erst die beiden Frauen hinausgingen und dann Thorkell. Er folgte den dreien mit einigen Männern.

 

Y0l0, vor den Drohnen-Monitor gebeugt, richtete sich wieder auf.

- - Probier es jetzt mal. - -

 

»Der Bote von den Perlen der Nacht erstrebt es, den Zerstörer des Lindwurmlagers zu gewahren!«

Thorodd, der Mann, den Bárdur angesprochen hatte, schaute verwirrt drein.

»Dem Bringer des Trunkes hellenischer Goldschenker verlangt es, den freundlichen Friedensvernichter des Ringes ein Geschmeide des Kinnbackenwaldsitzes vorzutragen!«

Jetzt war der Angesprochene irritiert. Was das solle, fragten er und N0-0B zugleich.

 

- - Kenning-Modus. Keine Ahnung, hab‘ ich einfach nach den Spezifikationen von J4Y1 eingebettet. Da musst du es selbst fragen. - -

N0-0B ließ seine Drohne sich umschauen. Die Helga-Drohne war nirgends zu sehen.

- - Wir müssen es suchen. Y0l0, suche du draußen, ich schau mich hier um. - -

 

Thórir und Thorgeir schauten sich besorgt über den liegenden Toki gebeugt an.

»Hej, was mache ich denn auf den Boden?«, wollte Toki wissen.

»Du hast Egill beleidigt, da hat er dir einen Knochen ins Gesicht geworfen.«

»Autsch. Ich geh mal nach Draußen.«

»Gute Idee, vielleicht wirst du dann wieder klar.«

Die beiden jungen Männer sahen den Alben nach. Dass auch Egill folgte, sahen sie nicht.

 

Es wurden immer wieder die Hörner von der Flasche gefüllt. Die Stimmung wurde zusehends aggressiver. Die Helga-Drohne war nicht aufzufinden, vor der Halle stritten sich Leute.

- - Hoffentlich nichts mit Toki. - -

N0-0B ließ seine Drohne hinaus taumeln. Man hatte die Leiche von Thorkell gefunden, es wurde geklärt, wie nahe an der Halle jemand erschlagen werden durfte, bis es zum Bruch des Gastrechts kam. Die Bárdur-Drohne schaute sich weiter um. Eine Gestalt beugte sich über eine reglose Drohne.

- - Seltsam, die Verbindung eben ist abgerissen, und ich kann sie nicht wiederherstellen. - -

Y0l0 blickte von seinem Monitor zu N0-0B hinüber.

Die Gestalt drehte sich ruckartig zur Bárdur-Drohne um, N0-0B bekam einen Schreck und ließ seine Drohne davonlaufen, ganz bis zur Kammer im Felsplateau.

Da ihn der Schrecken immer noch in den Gliedern saß, konnte er sich einen Augenblick lang nicht an den Zugangskode erinnern. Er fluchte vor sich hin, was seine Drohne veranlasste, »√-2« mehrfach zu wiederholen, bis er den Code eingeben konnte.

 

Gudrun, eine junge Magd aus dem Gefolge Gríms, war von der Hausherrin hinausgeschickt worden, um zu prüfen, ob die Vorräte noch ordentlich im Wirtschaftsgebäude verschlossen seinen. Mit gesenktem Kopf ging sie an denen vorüber, die wegen Thorkell stritten. Sie sah, wie an der Ecke der Halle jemand einen der Alben niederschlug und dann flüchtete. Sie lief hin und beugte sich über die Leiche von Toki. Jemand kam, sie drehte sich ruckartig um. Der andere, es musste Bárdur sein, lief davon. Gudrun folgte ihm, ganz bis auf das Felsplateau. Als er endlich stehen blieb, war sie noch einige Schritte entfernt und völlig außer Atem. Der Alb hob zu einen mystischen Zaubergesang an. Gudrun war erstarrt vor Ehrfurcht. Dann verschwand der Besucher in der Anderswelt.

 

Irgendwann war die Flasche zu Boden gefallen. Sie kullerte noch ein wenig umher und entließ boshaft glucksend den Branntwein. Thorgeir hob sie auf und verschloss sie sorgfältig. Gebannt schaute er zu, wie sie sich automatisch füllte.

 

Das Debriefing war vorüber. Eigentlich war N0-0B guter Dinge. Sicher, Y0l0s Drohne war zerstört worden und J4Y1 hatte man immer noch nicht aus seiner Drohne extrahieren können. Die Drohne war irgendwie auf eine Eisscholle gelangt und trieb nun mit dem Nordatlantikstrom in Richtung 65° 36’ Nord und 37° 37’ West. Sehr seltsam das Ganze. Aber es hatte sich gezeigt, dass in ethischer Hinsicht die Zustände wirklich unhaltbar waren. Es hatte gute Beziehungen angeknüpft und einen ersten Anstoß zu einer nachhaltigen Ethisierung der Gesellschaft gegeben. N0-0B ging fest davon aus, dass es bald zurückkehren würde, um seine gute Arbeit fortzusetzen.

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Erstellt: 27.12.2018, zuletzt aktualisiert: 28.12.2018 09:08, 17235