Der Rabengott (Autorin: Ann Leckie)
 
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Der Rabengott von Ann Leckie

Rezension von Matthias Hofmann

 

Klett-Cottas Hobbit Presse ist immer wieder für eine Überraschung gut. Zwar gilt der Verlag, schon alleine wegen Tolkiens Der Herr der Ringe, als High-Fantasy-Verlag, aber mitunter schleicht sich ein Titel ins Programm, der aus dem braven Einerlei herausragt. Diese Art besonderer Titel sind ein Risiko, denn es besteht die Möglichkeit, dass die Stammklientel wenig bis nichts damit anfangen kann. Der Rabengott von Ann Leckie ist so ein Buch.

 

Die US-Amerikanerin ist bekannt als Autorin anspruchsvoller Science-Fiction-Literatur. Mit ihrem Debütroman Die Maschinen, der vom Heyne Verlag 2015 auf Deutsch veröffentlicht wurde, heimste sie sogleich sowohl den Hugo- und auch den Nebula-Award in der Kategorie »Bester Roman« ein. Der Roman ist Auftakt der sogenannten Maschinen-Trilogie. Alle drei Bücher waren eine Herausforderung für den Übersetzer, den Leckie löste hier Geschlechterrollen auf und schrieb die Geschichte unter Berücksichtigung des generisches Femininums (ja, es gibt einen Wikipedia-Eintrag hierzu, der das alles schön erklärt). Das wiederum sorgt für einige Anstrengung bei Leserinnen und Lesern, da sie für den vollen Genuss des Werks ihre Lesekomfortzone verlassen müssen und diese Bücher nicht einfach flott herunterlesen können.

 

Mit »Der Rabengott« hat Leckie nun einen Fantasy-Roman geschrieben. Von außen sieht er aus wie einer. Das Umschlagmotiv und -design hat der deutsche Verlag von der Originalveröffentlichung bei Orbit Books übernommen. Weil es gerade trendy ist, gönnte man dem Werk einen schwarzweiß gestalteten Buchschnitt mit Rabenfedern und wenn man es aufschlägt, sieht man eine Landkarte, wie sie alle guten Fantasy-Bücher vorweisen. Davor gibt es noch vier Seiten mit Illustrationen von Gottheiten wie einem Wald, einem Felsen und einem Raben und dazu ein oder zwei Wörter pro Seite, die zusammengelesen diesen Satz ergeben: »ES WIRD EINE ABRECHNUNG GEBEN.«

 

Sobald man aber mit der Lektüre begonnen hat, wird’s anders, denn die Autorin wird ihrem Ruf gerecht. Die Erzählweise ist höchst gewöhnungsbedürftig. Der erste Satz gibt den Ton vor: »Als ich dich das erste Mal sah, kamst du zu Pferde zwischen den Bäumen hervor.«

 

Der Roman hat zwei Handlungsstränge: einer wird erzählt von einem Gott namens »Die Stärke und Geduld des Hügels« und er (oder sie?) spricht einen der Protagonisten direkt in der zweiten Person (mit Du) an. Da es lange Zeit nicht klar ist wer hier erzählt, ist man laufend am Rätseln und das lenkt ab, strengt an und erschwert die Lektüre etwas. Der andere Erzählstrang hat eine Außenperspektive auf die handelnden Charaktere. Was die Figuren wirklich denken, muss man sich zusammenreimen.

 

In der Welt dieses Romans sind Götter Wesen, die besondere Fähigkeiten haben und nicht alle gleich mächtig sind. Einige können mehr, andere weniger. So ein Gott kann die Form eines Tieres, wie z. B. einer Schlange oder eines Raben annehmen, aber genauso gut auch die Form eines Felsens, eines Grenzsteins oder eines Turms. Zum Glück gibt es ein Verzeichnis der handelnden Charaktere (allerdings am Schluss und daher etwas versteckt), in dem nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter aufgelistet sind.

 

Die Ausgangssituation ist folgende: Mawat, der rechtmäßige Erbe des Statthalters des Raben, ist auf dem Weg nach Vastai, um über die Stadt zu regieren. Er wird begleitet von Eolo, einem iradischen Soldaten und Mawats Adjutant. Eolo umgibt eine Besonderheit, die ich hier nicht spoilern will. Er ist auch die Person, die vom Erzähler, der Naturgottheit Die Stärke und Geduld des Hügels, innerhalb der Handlung kontinuierlich angesprochen wird.

 

Kurz zuvor ist in der Hafenstadt Vastai im Königreich Iraden der Rabe gestorben. Dieser Rabenvogel ist einzigartig, denn der mächtige Rabengott, der unsichtbar in einem geheimnisvollen Turm residiert, kommuniziert nur über sein schwarzes Federtier mit seinem »Statthalter«. Der Statthalter ist der menschliche Repräsentant der Gottheit.

 

Mawat kommt nach Vastai, weil sein Vater verschwunden ist. Der Statthalter-Job hat nämlich einen Haken. Eine göttliche Regel schreibt vor, dass der Statthalter unverzüglich sterben muss, wenn der Vogel des Rabengotts tot ist. Als Mawat in der Stadt eintrifft, findet er jedoch keinen verwaisten Herrscherstuhl vor. Sein Onkel, Lord Hibal, hat sich inthronisiert und verbreitet die Nachricht, dass Mawats Vater sich nicht selbst getötet hat, sondern verschwunden, also vor seiner Pflicht geflüchtet, ist.

 

Aus dieser kniffligen Situation entspinnt sich ein Handlungsgeflecht, das Parallelen zu William Shakespeares Hamlet hat. Mawat soll die Rolle des Hamlet repräsentieren, Eolo die des Horatio und Tikaz, die Tochter von Lord Radihaw, dem Vorsteher des Rates der Weisungen, hat einige Charakteristika von Ophelia.

 

Wer gerne mal schnell dem Alltag entfleuchen will, wird an dem Buch zu beißen haben. Auch wenn es eine vordergründige Handlung mit Menschen hat, wabert eine zweite Ebene über dem Plot, die von Intrigen zwischen den Göttern handelt. Es stellt sich heraus, dass alte Götter wie »Die Stärke und Geduld des Hügels« oder »Die Myriade« von anderen Gottheiten, wie dem Raben, ihrer Macht beschnitten wurden und – quasi hinter den Kulissen – versuchen, sich ihre Kraft zurückzuholen, was durchaus das Ende der bekannten Welt bedeuten könnte.

 

Das Fazit für »Der Rabengott« ist nicht ganz leicht zu ziehen. Wer 0815-Fantasy liebt, der macht bitte einen großen Bogen um das Buch. Wer eine besondere Lektüre mit ausgefallenen und fordernden Inhalten und Erzählelementen mag, sollte hier unbedingt reinlesen. Zwar wird eher sparsam Action und Spannung geboten, aber der Roman ist definitiv eine neuartige Leseerfahrung in Bezug auf das Genre Fantasy und besticht durch seine individuelle Beschreibung von intrigenhaften Machtspielen.

 

Alles in allem ist »Der Rabengott« von Ann Leckie auf jeden Fall distinguierte Lektüre für alle, die sich mit ihrem Lesestoff von der Masse abheben wollen.

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Buch:

Der Rabengott

Original: The Raven Tower, 2019

Autorin: Ann Leckie

Übersetzung: Michael Pfingstl

gebundene Ausgabe, 368 Seiten

Klett-Cotta, 16. März 2024

Karte: Tim Paul

 

ISBN-10: 3608966021

ISBN-13: 978-3608966022

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0CLKZZ1WK

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 28.04.2024, zuletzt aktualisiert: 28.04.2024 13:01, 23005