Überschuss (Herausgeber: Armin Rößler und Dieter Schmitt)
 
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Überschuss herausgegeben von Armin Rößler und Dieter Schmitt

Anthologie

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

ÜBERSCHUSS IST DAS PROBLEM VON MORGEN:

Zu viele Alte, Kranke und Arbeitslose belasten den Sozialstaat, aber neue Technologie ermöglicht eine billige Zwischenlagerung des Humankapitals. Wissen Sie, was im Gesetz zur Hebung des Selbstwertgefühls steht? Nein? Sollten Sie aber!

 

DIE ZUKUNFT IST GEFÄHRLICH:

Das Raumschiff „Titan“ droht in die Sonne zu stürzen, eine fremde Intelligenz reagiert mit tödlichem Hass auf alle Annäherungsversuche und Robot-Engel bedrohen eine Raumstation.

 

DAS ALL STECKT VOLLER ÜBERRASCHUNGEN:

Ein Maschendrahtzaun galaktischen Ausmaßes sperrt die wichtigste Flugroute, ein intelligenter Kartoffelschnitz löst interplanetarische Feindseligkeiten aus und in manchen Winkel des Universums sind noch nicht einmal die Naturgesetze vorgedrungen. 19 Autoren aus Deutschland und Österreich wagen unkonventionelle Antworten nicht nur auf soziale Fragen – und neue Fragen auf konventionelle Antworten. Je nach Temperament fallen sie fröhlich-abstrus bis bitterböse aus, auf jeden Fall aber spannend.

 

Rezension:

Bereits in die dritte Runde geht die Anthologiereihe des Wurdack-Verlages. Leider sind Deus Ex Machina und Walfred Goreng, die Vorgänger dieser Anthologie, an mir vorüber gegangen, aber wenn Überschuss eine konsequente Fortsetzung in Auswahl und Präsentation darstellt, sind auch die ersten beiden SF Kurzgeschichten Sammlungen eine nähere Betrachtung wert.

 

Der Herausgeber Armin Rößler spricht im Vorwort von einer Bewegung im Kurzgeschichtenbereich, von einer »positiven Entwicklung«. Diese ist an einer kreativen Schicht von Autoren gebunden, die sich aktiv um eine Veröffentlichung ihrer Werke bemühen und dabei zunächst nicht mit den großen Serien an die Öffentlichkeit treten, sondern ihre Ideen in kurzen Geschichten ausformulieren und dabei ein in Deutschland wenig genutztes Sprungbrett für sich entdecken, das besonders durch den fehlenden Markt für Pulp- und SF-Magazinen wenig Aussicht auf Erfolg verspricht.

Aber vielleicht ist auch nur die Zeit der großen Verlage vorbei, die neben Star Trek ab und zu ein Erstlingswerk wagen.

Also her mit den Autoren der neuen deutschen Literatur!

 

Die Titelgeschichte Überschuss von Torben Kneesch präsentiert eine Methode zur Entsorgung menschlichen Überschusses, die die Motive von Zeitreise und Kälteschlaf mischt. Nicht wirklich neu, aber in seiner logischen Konsequenz sehr gut vorstellbar. Eigentlich fehlt nur die Technik, sonst könnte Kneeschs sarkastische Vision Realität sein.

 

Ähnlich dicht an die bekannte Welt lehnt sich auch Lutz Herrmanns Der Irrtum an. Kaltes Managergehabe in einer gefühlsarmen Welt. Der Sieg des kleinen Mannes hinterlässt einen fahlen Geschmack, die Story bleibt im Grunde pessimistisch. Solide, wenn auch wenig inspirierend.

 

Barrieren von Armin Rößler hat es schwer. Der Stoff ist für eine Kurzgeschichte eigentlich zu umfangreich. So bleiben zu viele Fragen übrig. Die Hauptfigur, die hier eine kolossale Weiterentwicklung der Evolution symbolisiert, bleibt ungewohnt blutarm.

 

Fritten ins Weltall schießt Birgit Erwin mit ihrer Groteske Nur ein Gedanke. Witzig, überraschend und kurz. Definitiv eine Glanzleistung der Spacigen Frittierkunst.

 

Der Spaziergang von Markus K. Korb überzeugt in der präzisen und detailgetreuen Beschreibung eines Lost in Space-Erlebnisses. Allerdings hinterlässt diese kurze Skizze keine bleibenden Eindrücke, fehlt ihr eine Idee für eine Geschichte.

 

Die Mediensatire Der Untergang der Titan von Bernhard Weißbecker verhilft den öffentlich-rechtlichen Sendern zu unverhoffter Unterstützung. Das unmenschliche Gerangel um die Übertragungsrechte der letzten Stunden einer vom Untergang bedrohten Raumschiffbesatzung ist pointiert und absolut realistisch in Szene gesetzt.

 

Andrea Tillmanns begleitet in Nicht ganz Atlantis ein junges Mädchen, das die Grenzen ihrer Welt kennenlernt. Eine unaufdringliche Erzählung, die besonders durch die einfühlsame Sprache auffällt und dabei dennoch ein gewichtiges Thema angeht: Die menschliche Zivilisation ist nur eine hauchdünne Schicht über den Trieben des Tieres Mensch.

 

Eine rabiate Art zukünftiger Bestrafungen präsentiert Peter Hohmann in Strafvollzug: Den Delinquenten wird das aufgebrummte Strafmass in Form von Lebenskraft entzogen. Leider ist der Plot selbst zu vorhersehbar und wenig fesselnd.

 

In Wider Willen von Axel Bicker werden Tradition und Familienehre einer Kolonialwelt in Frage gestellt. Mit drastischen Mitteln versucht ein Vater seinen Sohn zu einer Vernunftehe zu zwingen, allerdings gibt es genau gegen diese Ehen ein Gesetz; soll man nur aus Liebe heiraten.

Die Geschichte lässt den Leser irritiert zurück, handelt es sich doch um eine unübliche Science Fiction Story, die am ehesten noch mit einer Darkover Erzählung zu vergleichen ist.

 

Der Horror geht um im Festtagsprogramm von Thorsten Küper. Die Raumstation Lowell ist Schauplatz einer grausigen Auseinandersetzung, die actionreich, mit Sarkasmus und einer gehörigen Menge Blut unter die Haut geht. Die Darstellung ist dabei sehr plastisch, was der Atmosphäre zu gute kommt.

 

Nina Horvaths Spirale ist ein kurzer philosophischer Moment. Wenn auch wenig passiert, enthält die Kurzgeschichte genau jene Nachdenklichkeit, die nach dem gruseligen »Festtagsprogramm« angebracht scheint. Die Frage, inwieweit das Leben in vorgefertigten Abläufen stagniert, und wie man diese durchbrechen kann, ist eindringlich bearbeitet worden.

 

Der Besucher ist ein Alien vom Planeten Xeracox, der die Erde bereist und dort so seine Erfahrungen macht. Die leichtfüßige Geschichte von Uwe Herrmann macht Spaß ohne dabei mehr zu wollen.

 

Da hat es der Besucher in Albas bestes Spiel von V. Groß schon schwerer. Um sein Leben wird gespielt. Die Geschichte ist solide, beschränkt sich aber mehr auf die Personen als auf eine tatsächliche Story.

 

Edgar Güttke bleibt seinem Ruf als Meister der Groteske treu. Flasken ist eine großartige Parodie mit bösen Seitenhieben, neckigen Einfällen und einer temporeichen Erzählweise, die begeistert. Für mich ist Güttke eines der großen erzählerischen Talente unter den unentdeckten Autoren.

 

Nicht minder hochwertig geht es mit Ilka Sehnerts Das Buch weiter. Im Autorenkästchen, deren Präsenz zu Beginn jeder Geschichte zunächst irritiert, aber zunehmend interessanter wird, stellt man die Schauspielerei der Autorin als Ursache für ihren knappen und rhythmischen Sprachstil dar. Tatsächlich fällt er aus den Rahmen der übrigen Texte; von graziler Schönheit, ist die Wiederfindung einer natürlichen Fortpflanzung auch inhaltlich ein Glanzstück dieser Sammlung.

 

Die Realität in Frage stellt Bernhard Schneider in Der Bewohner. Die Geschichte zielt auf die Pointe ab und ist trotz des bereits arg strapazierten Themas lesenswert.

 

Die dritte herausragende Geschichte der Anthologie ist Antje Ippensens Alles wandelt sich. Die grüne Evolution wird in treffsicheren Bildern und Wortspielen ausgeführt, sie wächst quasi zur vollen Blüte. Es ist bewundernswert, wie leicht der Autorin der Umgang mit dem pflanzlichen Sujet fällt, wie einleuchtend ihr die GRASWURZELDIMENSION (welch Wort!) gelingt.

 

Uwe Sauerbrei beschreibt eine etwas andere Art der Verwandlung in Allmacht. Aus einer sehr genau und detailliert dargestellten Alltagszenerie heraus entwickelt er eine Mutation über den menschlichen Status Quo hinaus, bis die Grenzen der Schöpfung erreicht werden.

Nach dem außergewöhnlichen Besuch der GRASWURZELDIMENSION erscheint die Erzählung etwas bieder.

 

Die Anthologie endet abrupt mit der Fallstudie: Terroristin Jenny S. von Heidrun Jänchen. Hier wird recht gefühlvoll die Auswirkung einer rigiden Einsetzung der Klontechnologie beschrieben. Jenny Seidel gerät in die Zerhacker einer genmanipulierten Gesellschaft, in der es normal ist, Klone als Ersatzteillager zu halten.

Mit dieser bedrückenden Geschichte verschiebt sich die Waage der besonders guten Geschichten in dieser Anthologie noch weiter hin zur weiblichen Seite.

 

Fazit:

»Überschuss« ist besonders im zweiten Teil eine Sammlung überaus interessanter und beeindruckender Erzählungen und Shortstorys.

Armin Rößler und der Wurdack Verlag sorgen dafür, dass der deutsche SF-Markt eine kreative Unterfütterung mit dem Nährboden guten Phantastik erhält: Brilliante Kurzgeschichten.

 

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Buch:

Überschuss

Anthologie

Herausgeber: Armin Rößler und Dieter Schmitt

Taschenbuch: 196 Seiten

Wurdack Verlag, Dezember 2004

 

ISBN-10: 3938065087

ISBN-13: 978-3938065082

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Torben Kneesch – Überschuss

  • Lutz Herrmann – Der Irrtum

  • Armin Rößler – Barrieren

  • Birgit Erwin – Nur ein Gedanke

  • Markus K. Korb – Der Spaziergang

  • Bernhard Weißbecker – Der Untergang der Titan

  • Andrea Tillmanns – Nicht ganz Atlantis

  • Peter Hohmann – Strafvollzug

  • Axel Bicker – Wider Willen

  • Thorsten Küper – Festtagsprogramm

  • Nina Horvath – Spirale

  • Uwe Hermann – Der Besucher

  • V. Groß – Albas bestes Spiel

  • Edgar Güttke – Flasken

  • Ilka Sehnert – Das Buch

  • Bernhard Schneider – Der Bewohner

  • Antje Ippensen – Alles wandelt sich

  • Uwe Sauerbrei – Allmacht

  • Heidrun Jänchen – Fallstudie: Terroristin Jenny S.


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Erstellt: 23.08.2005, zuletzt aktualisiert: 24.06.2022 16:58, 1076