Signum (Autor: Hal Duncan; Das Ewige Stundenbuch 2)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Signum von Hal Duncan

Reihe: Das Ewige Stundenbuch Bd. 2

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

In Vellum, dem ersten Teil, hatte man den eiskalten Mörder Joey, den ausgeflippten Gewalttäter Jack, die rachedurstige Anna, den lieben, geilen Thomas, den gewitzten Reynard und den rebellischen Seamus kennengelernt. Sie waren auf wechselhafte Weise in den Kampf der Engel gegen die Dämonen verwickelt. Engel und Dämonen sind eigentlich nur Unkin, also Menschen, die den Cant erlernen. Der Cant ist die Sprache der Schöpfung, mit dem man quasi Magie wirken kann. Als die Unkin sich noch Götter nannten und die Welt der Menschen in stetiges Chaos stürzten, entschieden sich einige von ihnen dafür, der Welt einen dauerhaften Frieden zu bescheren. Dazu nannten sie sich Engel – und ihre Gegner Dämonen – gründeten den Konvent und behaupteten, die Boten des wahren Gottes zu sein. Doch in Wahrheit steht der Thron leer. Am Ende hatten die Rebellen, die sich keiner Seite anschließen wollten, und der Konvent schwere Verluste erlitten: Einerseits war Thomas tot, Anna und

Seamus waren fort, andererseits lag Metatron, die Stimme Gottes, im Sterben. Hiernach setzt Signum ein. Der Konvent zerfällt langsam, das Chaos breitet sich aus. Da im Vellum, dem Multiversum, alle möglichen Ereignisse sich in irgendeiner Falte ereignen, gibt es auch Orte, an denen Thomas lebt, Joey und Jack einander aufs Blut bekämpfen oder an einem Strang ziehen. Die verbliebenen Helden einer Falte versuchen Anna zurückzuholen, in einer anderen schlüpfen die Bitläuse in Jacks Hautgewand, um gegen den englischen SS-Mann Joey zu kämpfen, und dergleichen mehr.

 

Das Setting ist das Vellum, eine Art Multiversum. Das Vellum mit seinen Falten (= Dimensionen) ist mit dem Ewigen Stundenbuch verknüpft – wird das Buch umgeschrieben, ändert sich die Realität. Gleichzeitig gilt, dass im Vellum alles, was möglich ist, sich auch ereignet – in irgendeiner Falte. So gibt es Falten, in denen die Ideologie der Futuristen sich ausbreitet und droht, den Faschismus in Deutschland und den Kommunismus in Russland der frühen Dreißiger zu überwinden – die Futuristen sind irgendwie noch schlimmer als die Nazis. Der Roman macht es an der Homophobie fest – der Faschist Röhm ist schwul, also nicht so schlimm wie der Futurist Hitler, der homophob ist. Es gibt eine Falte, in der im Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg die ultra-brutalen russischen Futuristen als Handlanger der Engel gegen die Briten kämpfen. Dann gibt es eine, in der im Nachkriegsengland die Faschisten herrschen, eine mit gehörnten und geflügelten Feen bevölkerte nahe Zukunft, einen mittelalterlichen Operettenstaat machiavellistischer Prägung im tiefsten Vinter usw.

Im Großen und Ganzen sind die verschiedenen Falten auf eine pulpige Art 'realistisch'. Die phantastischen Elemente, wenn es welche gibt, werden eher beiläufig verwendet. Eine Ausnahme stellen die Qi- und Orgonenergie dar; sie werden aus der Sexualität gewonnen und können Strahlenpistolen und dergleichen betreiben, die Menschen dann entweder töten oder extrem notgeil machen.

Da stets dieselben Figuren in unterschiedlichen Falten auftreten, ist das Setting ein Ambiente; das Vellum an sich ist in seiner Vielfalt einigermaßen breit ausgeführt, die einzelnen Falten jedoch nur knapp.

 

Für einen Roman dieser Länge gibt es erstaunlich wenig Personal – den Bechdel-Test besteht die Riege nicht. Jack ist ein junger, aufrechter Streiter für die gute Sache, der aber (theoretisch regelmäßig, de facto nur) gelegentlich über die Stränge schlägt – er liebt halt Explosionen. Außerdem liebt er Thomas. Thomas ist ein lieber, geiler Junge; mehr als Jacks male interest wird er nie. Dons Rolle ist ähnlich klein: Er ist der gruffig-komische supporter. Joey ist Jacks Pendant: eiskalt, brutal, weitgehend nihilistisch. Dennoch spielt er das große Spiel mit. Reynard ist clever und gewieft; nachdem Seamus fort ist, schmiedet er die Pläne. Anna ist eine rachsüchtige Furie. Seamus ist der coole Aussteiger. Diese sieben Figuren entsprechen den sieben Seelenteilen der altägyptischen Mythologie; sieht man von Seamus ab, dann treten die verbliebenen sechs Archetypen in allerlei Variationen wieder auf. Manchmal sind sie sich dieser Situation bewusst, manchmal nicht. Hierin erinnern sie an den Ewigen Helden aus Michael Moorcocks Geschichten.

 

Was die konkreten Plots angeht, ist der Roman zweigeteilt. Zunächst einmal gibt es eine typische Rettungsgeschichte – Anna muss zurückgeholt werden. Daneben wird ein klassischer Horrorplot entwickelt, der in der zweiten Hälfte in den Vordergrund rückt: Die schurkischen Okkultisten wollen einen Dämonengott, den Teufel oder dergleichen beschwören, das gilt es zu verhindern. Hier ist es der Restkonvent, der den leeren Thron Gottes besetzen will. Dazu gibt es eine chaotische Abfolge von Kämpfen, erotischen Szenen zwischen Jack und Thomas, generell dunkel-dräuende Szenen und unkonkrete Vorbereitungen. Die chaotische und oftmals zusammenhangslose Abfolge will ich noch einmal betonen, denn es gibt einen Metaplot, der sie erklärt. Nichtsdestoweniger können die üblichen Spannungsquellen kaum wirken. Erschwerend kommt hinzu, dass der Roman recht geschwätzig ist und so einen zähflüssigen Plotfluss aufweist. Da die Erklärungen nur stückchenweise und spät nachgereicht werden, bleibt dem Leser einige Zeit, um selbst auf die Lösung zu kommen. Spannungsquellen sind also eher die Rätsel – welche Figur ist in welcher Falte wie einzuordnen – und das (mögliche) Staunen über die bunte Vielfalt, die das Vellum bietet. Hierzu passen einige intertextuelle Momente, die auf den Cthulhu-Mythos von H. P. Lovecraft, Michael Moorcocks Multiversum – besonders die Jerry Cornelius-Reihe – oder die Flash Gorden-Geschichten verweisen. Hinzu kommen noch einige postmodern-selbstreferenzielle Szenen.

 

Die Erzähltechnik unterstützt die Vielfalt des Settings und das Chaos des Metaplots. Der Handlungsaufbau ist im Wesentlichen wohl dramatisch mit einigen Digressen, aber so zerschreddert, dass er vielfach wie ein wild gemusterter Flickenteppich aus zahllosen Episoden wirkt. Trotz des generell negativen Tons, sind alle Stränge – es gibt etwa eine Handvoll, genauer wage ich nicht, mich festzulegen – Entwicklungen. Auch wenn in der fiktionalen Zeit des Settings wild gesprungen wird, so ist der (im weitesten Sinne des Wortes) kausale Aufbau progressiv. Insgesamt erinnert der Roman an einen erzähltechnisch konservativen Text, der zurückhaltend mittels Cut-up-Technik à la William S. Burroughs bearbeitet wurde.

Die Erzählperspektive ist meistens personal, es gibt aber auch Szenen von Ich-Erzählern und welche aus der Wir-Perspektive der Bitläuse, die auktorial wirken. Der Wechsel kann von Absatz zu Absatz stattfinden.

Auch im Stil gibt es eine große Bandbreite – Momente werden als Protokoll wiedergegeben, es gibt Theaterszenen, an antike Schriften Gemahnendes usw. Dennoch überwiegt ein pulpiger Stil mit Hang zum Vulgären. Die Sätze sind zumeist gradlinig, doch es gibt auch gelegentlich Schachtelsätze.

 

Fazit:

Im Vellum ist der Teufel los: Während der Rest des Konvents den leeren Thron Gottes besetzen will, versucht der Rest der Rebellen die verlorene Anna zu retten; Aussteiger Seamus verfolgt unterdessen seine eigenen Pläne. Signum ist eigentlich ein klassischer Abenteuerroman, wie er der Pulp-Ära entstammen könnte, doch aufgrund des Metaplots kräftig durcheinandergewirbelt wurde. Daraus resultiert zweierlei: Einerseits ist es ein interessantes, postmodernes Experiment, andererseits wirken die Spannungsquellen kaum. Zu Letzteren kommt erschwerend hinzu, dass der Roman unglaublich geschwätzig ist. So sehr ich die Experimentierfreudigkeit des Autors und den Mut des Verlegers schätze, so wenig kann ich verhehlen, dass ich über weite Strecken gelangweilt war. Mir fällt das Urteil schwer: Tolle Prämisse, doch in der Ausführung weit von einem Meisterwerk entfernt.

 

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328182424da6e197e
Platzhalter

Roman:

Titel: Signum

Reihe: Das Ewige Stundenbuch 2

Original: Ink (2007)

Autor: Hal Duncan

Übersetzer: Hannes Riffel

Verlag: Golkonda (April 2010)

Seiten: 644 Gebunden

Titelbild: Unbekannt

ISBN-13: 978-3-942396-00-4

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 04.09.2010, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 10934