Das Land des Yann (Lord Dunsany; Die Bibliothek von Babel Bd. 8)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Das Land des Yann von Lord Dunsany

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 8

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

J. L. Borges, der Herausgeber der Bibliothek von Babel, hat mit Lord Dunsany einen Autor gewählt, der großen Einfluss auf andere Autoren der Phantastik hatte. Das Land des Yann, der achte Band der Reihe, enthalt acht klug ausgewählte Kurzgeschichten, die von diesem Einfluss künden. Sie weisen eine überraschende Vielfalt auf: Von einer träumerischen conte cruel über die Parabel, Fantasy-Queste und sanfter Wundergeschichte hin zum Drama.

 

Die Geschichten im Einzelnen sind:

Am Rande der Gezeiten (10 S.): Der Ich-Erzähler berichtet von seinem Traum. Er habe ein schreckliches Verbrechen begangen, welches verhindere, dass er ein ehrliches Begräbnis in der Erde oder der See erhalte. Seine Freunde hätten ihn mit einem geheimen Ritual getötet und im Schlick der Themse verscharrt. Seit jener Zeit liege er im Fluss und nehme sein Verwesen wahr ohne etwas dagegen unternehmen zu können.

Hierbei handelt es sich um eine in einem Traum eingebettete conte cruel.

Das Schwert und das Idol (10 S.): Der Stammesführer Loz beendet zufälligerweise die Steinzeit: Als ein hungriges Rudel Wölfe seinen Stamm bedrängt, befiehlt er alles Holz auf das Lagerfeuer zu werfen. Die hohen Flammen vertreiben nicht nur den Isegrim, sondern sie sind auch so heiß, dass das Erz aus den Herdsteinen schmilzt – zu einem langen, flachen Stab. Loz schärft die Kanten und erhält ein Schwert – mit diesem vermag er seine Feinde mit leichter Hand zu töten. Er erobert den fruchtbaren Ort, über den bisher Iz herrschte. Dessen Nachkommen gelten nun wenig – und sinnen auf Vergeltung.

Die Geschichte ist eine Parabel auf das Wesen des Militärs und der Religion.

Carcassonne (24 S.): Camorak ist der Herr von Arn. Zusammen mit seinen kriegsgewaltigen Recken hat er zahllose Schlachten geschlagen und Feinde niedergeworfen. So sitzt der junge König in seiner prachtvollen Ruhmeshalle und feiert stolz seine Mach. Im Übermut fordert er vom Seher einen Schicksalsspruch. Der Graubart wagt nur dieses zu sagen: "Nimmer werdet ihr eintreffen zu Carcassonne." Die alte Elfenfeste zu nehmen entflammt augenblicklich des Königs Geist – wenn nicht er und seine Mannen, wer sonst soll das Schicksal fordern?

Diese Queste nach Ruhm erinnert stofflich und sprachlich an Dunsanys bekannteres Werk Die Königstochter von Elfenland, auch wenn es anscheinend das Thema von Franz Kafkas Das Schloss vorweg nimmt. Lord Dunsany gehörte zu den Autoren, die J. R. R. Tolkiens Mittelerde spürbar beeinflussten; in der Tat erinnert diese Geschichte leise an die berühmte Anderswelt, jedoch weniger an Aragons Queste, denn an Ar-Pharazôns Hybris.

Das Land des Yann (31 S.): In seltenen Nächten gelingt es dem Ich-Erzähler aus der Wachen Welt in die Traumlande zu gelangen. In der schönen Stadt Belzoond beginnt er seine Reise mit der Stromvogel, denn er will den Yann hinabfahren um nach Bar-Wul-Yann zu gelangen. Auf seiner Fahrt kann er die zahlreichen Wunder der Länder des Yann bestaunen: Die schlafende Stadt Mandaroon, das uralte Astahan und das wunderbare Perdóndaris; die drei Städte pflegen jeweils eine besondere Götterverehrung.

Dieses ist eine sanftmütige Wundergeschichte, die zu dem Zyklus gehört, der H. P. Lovecraft zu seinen dunklen Geschichten der Traumlande inspirierte. Auch Michael Endes Unendliche Geschichte erinnert an die farbenfrohen, fantastischen Wunder.

Die Wiese (6 S.): Der Ich-Erzähler lebt zwar in London, doch dessen Hässlichkeit treibt ihn immer wieder mit dem Rad ins Grüne. Gelegentlich macht er an einer malerisch schönen Wiese halt. Die Rast kann er allerdings nie genießen, denn es beschleicht ihn die Ahnung, das an jenem Ort etwas Schreckliches geschah – oder geschehen wird.

Die Bettler (5 S.): Der Ich-Erzähler schwelgt ob der verlorenen Schönheit und gegenwärtigen Ödnis Londons in Erinnerungen. Da kündet Hundebellen von der Ankunft der purpurn und grün gewandeten Bettler. Die edlen Wanderer preisen die verborgene Anmut der heruntergekommenen Straßenzüge und verheißen eine kommende Pracht.

Die Wiese und Die Bettler sind zwei kurze Wundergeschichten, die sich mit dem modernen und als unästhetisch wahrgenommenen London befassen; hiermit verweisen sie auf Arthur Machens Londoner Geschichten, vor allem N.

Das Bureau d'Echange de Maux (9 S.): Der Ich-Erzähler stößt bei seinen Reisen auf einen sehr sonderbaren Laden. Man zahlt 20 Francs Eintritt, dafür vermittelt der abstoßende Besitzer zwischen seinen Kunden den Tausch von Übeln – welcher Art diese sind und ob das Schicksal weiteres Entgelt fordert, das ist ihm gleich. Dem Erzähler fällt auf, dass die Kunden immer zufrieden gehen und nie zurückkehren. Von Neugierde getrieben, fasst er den Entschluss selbst ein Übel zu tauschen.

Hier verknüpft Dunsany auf ungewöhnliche Weise Wundergeschichte mit conte philosophique.

Eine Nacht im Pub (23 S.): Fünf Seemänner und ein heruntergekommener Adliger – genannt der "Toff" – haben aus einem indischen Klesch-Tempel einen gewaltigen Rubin geraubt. Dessen Wächtern, den schwarzen Priestern von Klesch, sind schon zwei der flüchtigen Diebe zum Opfer gefallen. Doch der Toff hat einen Plan: In einem abgelegenen Haus eingemietet erwartet er die Meuchler – die drei verbliebenen Seemänner sind zunächst skeptisch.

Dieses ist erzähltechnisch die ungewöhnlichste Geschichte: Dunsany verwendet als Form das Drama. Es scheint zunächst eine (sehr kurze) Gangsterballade zu sein, wandelt sich dann aber in eine Horrorgeschichte. Die Geschichte inspirierte Fritz Leiber zur Kurzgeschichte Die sieben schwarzen Priester um Fafhrd und den Grauen Mausling.

 

Zwar zeichnet diese Sammlung in erster Linie ihre Vielfalt aus, doch gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich bei den Geschichten durchaus feststellen. Obschon die Schauplätze grundverschieden sind – auch wenn London häufig besucht wird – so ist das Setting doch stets ein Ambiente; für gewöhnlich räumt Dunsany der Darstellung des Schauplatzes beachtlichen Raum ein. Zuweilen ist es die intensive Beschreibung der fremdartigen Umgebung, die das Wunderbare der Geschichte ausmacht.

Die Figuren lassen sich kaum auf einen Nenner bringen; mal überraschen sie durch einen ungewöhnlichen Charakter, mal neigen sie zum Typenhaften, jedoch werden sie nie ausführlich oder direkt charakterisiert. Daher behalten sie trotz der häufig auktorialen Perspektive dem Leser gegenüber ihre Geheimnisse.

Die Erzähltechnik ist zwar keineswegs ungewöhnlich, dafür aber ausgesprochen stimmig durchgeformt. Dunsany passt seinen Erzählduktus dem jeweiligen Stoff an und hält ihn bewundernswert konsequent durch. Dunsanys Stil neigt zum Schwelgenden, was bei ausschweifenden Beschreibungen besonders zum Tragen kommt.

 

Fazit:

Der Band Das Land des Yann ist ein großer Gewinn für Leser, die sich für die Entwicklungslinien der neueren Phantastik interessieren und den Autor kennen lernen wollen, der von so unterschiedliche Größen wie Fritz Leiber, H. P. Lovecraft und J. R. R. Tolkien gelesen wurde. Doch auch für einfach nur an Wundergeschichten Interessierte sind Lord Dunsanys Kurzgeschichten immer noch lesenswert, sowohl wegen seiner wahrhaft phantastischen Wunder, als auch wegen seines gekonnten Umgangs mit Erzählmustern.

 

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404250245525f22b6cb
Platzhalter

Das Land des Yann

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 8

Autor: Lord Dunsany

Edition Büchergilde, 2007

Hardcover, 133 Seiten

ISBN-10: 3940111082

ISBN-13: 978-3940111081

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 03.07.2007, zuletzt aktualisiert: 21.03.2024 17:38, 4380